Zauneidechsen
Es ist früher Vormittag und die Sonne erwärmt Steinschüttungen und angehäufte Baumstammteile. Über dem Gelände der „Alten Deponie“ liegt eine nahezu meditative Ruhe. Zu hören ist nur der Gesang der Vögel, das Summen der Holzbienen und immer wieder ein Rascheln entlang des Bodens. Ab und zu zeigt sich eine Eidechse, wenn sie ihren Sonnenplatz gefunden hat, um ihren Körper aufzuwärmen. Auf diesem 1,87 Hektar großen Gelände fühlt sie sich wohl, denn hier wurde vor mehr als fünf Jahren ein Lebensraum ganz nach ihren Bedürfnissen geschaffen.
Hintergrund war die Aufstellung des Bebauungsplanes „Fünfvierteläcker“ und das damit verbundene artenschutzrechtliche Gutachten, in dessen Erhebungen das Vorkommen von Zauneidechsen im geplanten Bebauungsbereich „Fünfvierteläcker“ festgestellt worden war. Als Ausgleich und Ersatz wurde eine „Continuous Ecological Functionality“ (CEF)-Maßnahme festgelegt - mit dem Ziel, den Lebensraum der Zauneidechsen an anderer Stelle dauerhaft und in gleicher Ausstattung zu errichten. Ein geeignetes Areal wurde südlich von Ketsch auf einem Teilbereich der „Alten Deponie“ gefunden. Auf diesem Gelände wurden standortheimische Sträucher angepflanzt, Obstbaumhochstämme gesetzt und Kalksteinschüttungen aufgehäuft. Des Weiteren wurde eine Wildblumenwiese gesät, die den Eidechsen als Jagdhabitat dient, sowie Sandgruben - so genannte Sandlinsen - angelegt, in denen Eier abgelegt werden können.
In den Jahren 2014 und 2015 wurden insgesamt 710 Zauneidechsen aus dem Vorhabenbereich des Bebauungsplans „Fünfvierteläcker“ sowie 25 Tiere aus dem Vorhabenbereich des Nahversorgungszentrums Ketsch / Hockenheimer Straße auf das vorbereitete Areal umgesiedelt. Mit der Artenschutzmaßnahme verbunden war die Empfehlung, über einen Zeitraum von fünf Jahren ein jährliches Monitoring mit mehreren Begehungen durchzuführen, um die Bestandsentwicklung der Zauneidechse in ihrem neuen Lebensraum zu dokumentieren und auch, um belegen zu können, dass die Umsiedlung erfolgreich war.
2019 hat die hierfür beauftragte „Spang. Fischer.Natzschka GmbH“ das Monitoring abgeschlossen. Die Ergebnisse der fünfjährigen Monitoringuntersuchungen zeigen eine positive Bestandsentwicklung der Zauneidechse auf: Die Zahl ist auf rund 800 gestiegen, wobei die deutliche Zunahme von Jungtieren belegt, dass die Eidechsen in ihrem neuen Lebensraum gute Fortpflanzungsbedingungen vorfinden.
Auf dem Gelände der Ausgleichsfläche fallen die großen Baumstämme und Totholzpyramiden auf. Unter ökologischer Baubegleitung waren die Bäume im Bebauungsbereich „Fünfvierteläcker“ gefällt worden, um die darin lebenden Entwicklungsstadien des Körnerbocks mitsamt den Baumstämmen zur „Alten Deponie“ umsiedeln zu können. Dort wurden die Baumstämme in derselben Ausrichtung wie im vorherigen Areal angeordnet, damit der Körnerbock das ihm vertraute Mikroklima im Totholz vorfindet.
Da die Eidechsen nicht an die Larven des Körnerbocks herankommen, besteht für ihn keine Gefahr. Die Eidechsen nutzen das exponierte Holz jedoch gerne, um sich zu sonnen. Die Totholzpyramiden werden auch von zahlreichen anderen Insekten besucht, unter anderem von Holzbienen.
Auch wenn die Zauneidechsen nun weitgehend sich selbst überlassen bleiben, sind jährliche Pflegemaßnahmen unerlässlich, um das Gelände für die Eidechsen offen zu halten. Hierzu gehört eine Streifenmahd: Die Wildblumenwiese wird alternierend gemäht, wobei jeweils Rückzugsstreifen erhalten bleiben und nicht gemäht werden. Diese, von unzähligen Kleintieren bewohnten Altgrasstreifen nutzt die Eidechse für die Jagd.
Das gemähte Gras bleibt einige Tage auf der gemähten Fläche liegen und wird dann abgeräumt. Durch das Entfernen des Mahdguts werden der Fläche Nährstoffe entzogen, wodurch das Wachstum der Gräser gemindert wird, so dass sich auch typische Wiesenkräuter ansiedeln können, die Insekten als Nahrungsgrundlage dienen. Von den Insekten wiederum profitieren die Eidechsen.
Die Wildblumenwiese wird zwei- bis dreimal im Jahr gemäht. Nach der letzten Mahd bleiben die beim letzten Mal nicht gemähten Streifen über den gesamten Winter als Rückzugsort für die Insektenwelt stehen und werden im Frühjahr gemäht, solange die Eidechsen noch in ihren Sandlinsen überwintern, denn sie sind nur von ca. Mitte April bis Mitte September aktiv.
Im Sommer sind die Eidechsen auf dem Gelände der „Alten Deponie“ ganz besonders in ihrem Element und genießen die meditative Ruhe ihrer Wohlfühl-Oase, in welcher nur der Gesang der Vögel, das Summen der Bienen und das Rascheln ihrer eigenen Füßchen zu hören ist...
sas/Fotos: Janson
Betreten verboten
Die Ausgleichsfläche „Alte Deponie“ ist kein Ausflugsziel und auch kein Grillplatz! Das Betreten des Geländes ist verboten, damit die Tiere nicht gestört werden oder ihr Lebensraum verwüstet wird. Die Gemeindeverwaltung appelliert daher eindringlich an die Vernunft der Spaziergänger, Radfahrer und Hundebesitzer. Die geschlossene Schranke sollte respektiert werden!
Die Tiere, die auf dieser ökologisch angelegten Ausgleichsfläche ihr „Zuhause“ gefunden haben, werden es sicher danken! sas